Der Barmherzige Samariter
Zu Jesus kam einst ein Gelehrter, und sprach zu ihm: "Mein sehr verehrter
und großer Meister sage an, wie man recht selig werden kann."
Und Jesus sprach: "Wie steht`s geschrieben?" Die Antwort kam: "Gott soll man lieben
und wie sich selbst den Nächsten auch." Und Jesus sprach: "So ist es Brauch,
so gehe hin und tu`desgleichen, und hüt` dich, vom Gesetz zu weichen."
Jedoch der kluge Schriftgelehrte, als er die schlichte Antwort hörte,
woll`t sich nicht leicht geschlagen geben, und fragt: "Wer ist in meinem Leben
denn eigentlich der Nächste mir?" Da sah ihn Jesus an - und hier
erzählt er folgende Geschichte, die ich nun ausgeschmückt berichte.
Die Straße, die nach Jericho, die haßte jeder, und war froh,
wenn er da heil war durchgekommen, denn vielen wurde fortgenommen
ihr Hab und Gut; sogar das Leben, mußt` mancher schon den Räubern geben.
Der Weg hat Felsen, Höhlen, Schluchten, die sich die Räuber gern aussuchten.
Die Gegend war entsetzlich kahl, jedoch für Räuber ideal
Ein Kaktus hier, ein Bäumchen dort, direkt unheimlich war der Ort.
Und hinter einem Felsen lauert, ein Räuber, der sich hingekauert.
Und nicht nur einer, nein, noch zwei, gehören zu der Kumpanei.
Es dauert dann auch garnicht lange, kommt einer ganz allein - und bange
blickt nach vorn und auch zurück, und denkt bei sich: mit etwas Glück
bist du nun bald in Jericho, und der Gedanke macht ihn froh!
Jetzt muß er um den Felsen geh`n, -- da sieht er die drei Räuber steh`n!!
Er sucht zu flieh`n - es nutzt ihm nicht - schon hat der eine Bösewicht
von hinten ihm am Hals gepackt, sodaß die Wirbelsäule knackt.
Sie schlagen ihn mit Knüppeln wund, und treten ihn wie einen Hund.
Sie zieh`n ihn aus, er blutet sehr, er wehrt sich nicht mehr, röchelt schwer,
Ein schwerer Kollaps, der trat ein -- halbnackt im heißen Sonnenschein.
Bald liegt ein Toter auf dem Sand, wenn keiner hilft mit Sachverstand.
Jetzt kommt ihm die Besinnung wieder, nur leise stöhnt er, weil die Glieder
vor Schmerzen er nicht rühren kann... Da kommt von Ferne her ein Mann -
Er sieht, wie durch `ne Nebelwand: Ein Landsmann kommt, und sein Gewand
zeigt ihn als Priester deutlich an! Oh Gott - nun wird die Hilfe nah`n.
Jetzt steht der Priester dicht bei ihm -- jedoch, was geht ihm durch den Sinn?
Er hilft nicht! - nein - blickt in die Schlucht, schaut um sich - und ergreift die Flucht!
Die Hilf`so nah, wie fürchterlich, der fromme Mann denkt nur an sich!
Verzweifelt schließt er seine Augen - wozu soll Frömmigkeit denn taugen?
So liegt er eine ganze Weile, - da hört er Schritte, die ihn Eile,
auf ihn herzuzukommen scheinen; der arme Mann kann nur noch weinen.
Jedoch der Wand`rer, ein Levit, tut so, als ob er ihn nicht sieht.
Er muß zum Tempel, außerdem, macht er sich unrein da mit dem!
Er denkt, als er so weitergeht: hier kommt doch jede Hilf`zu spät!
Der Arme - fast besinnungslos, denkt: Was ist mit den Frommen los?
Er schließt die Augen - es ist aus, ich komme niemals mehr nach Haus.
Da liegt er nun, sein Blut geronnen, er hat auch nichts mehr wahrgenommen,
er liegt im Koma - still und blaß - , nach einer Weile merkt er, daß
ein Mann sich in der Mittagsglut um seinen Körper kümmern tut,
gießt Öl und Wein in seine Wunden, die er dann sachgemäß verbunden.
Der Mann gibt ihm zu trinken Wein und redet freundlich auf ihn ein:
"Ich hab` zwar keinen Krankenwagen, jedoch mein Esel wird dich tragen."
Behutsam wird er aufgehoben und auf das Eselchen geschoben.
Und fort geht`s - langsam, bloß nicht schnell, denn ihm schmerzt jede Körperstell`.
So haben sie`s mit letzter Kraft, grad bis ans Herbergshaus geschafft.
Und trotz der durchgemachten Qualen, denkt er: Wer soll das bloßbezahlen?
All` meine Habe ist dahin, weil ich ein Überfallner bin.
(Versicherungen gab es nicht. Die AOK noch nicht in Sicht.)
Da sieht er, wie sein Retter zückt zwei Silberstück -- der Wirt beglückt,
daß gleich bezahlt wird die Pension, ruft laut ins Haus nach seinem Sohn.
Von den drei Männern sanft gebettet, ist nun der arme Kerl gerettet.
Der Retter sprach: "Ich komm zurück, Gott sei mit Dir, ich wünsch Dir Glück!"
Zum Wirte sprach er:" Pflege sein, es soll auch nicht Dein Schade sein."
Der Mann im Bett, er hatt` vergessen, zu fragen nach dem Namen dessen,
dem er soviel verdankte nun. - Er überlegte, konnt` nicht ruhn;
wenn man soviel erlitten hat, kommt man nicht schnell zum Resultat.
Ein Volksgenosse konnt`s nicht sein, sein Dialekt, der war nicht fein....
Doch dann war die Erleuchtung da: Natürlich - aus Samaria!
Aus jenem Land, das man verachtet, wo man nicht gerne übernachtet!
O - welch ein Hochmut, dieser Mann, nahm sich des Schwerverletzten an.
Levit und Priester zogen vor, zu eilen, zu des Tempels Tor.
Sie dienten Gott, sie waren heilig, - und deshalb hatten sie`s so eilig!?
Sie liebten Gott, doch nicht den Nächsten! Ja aber, wer nicht grad zum Schwächsten
eine ganzes Herz voll Liebe hat, der liebt Gott nicht in Wort und Tat.
Dem Schriftgelehrten war nun klar, wann welcher wem der Nächste war.
Er sprach nicht viel, konnt` nicht ausweichen, als Jesus sagte: "Tu desgleichen!"
Es sollt` auch uns`re Frage sein: wer ist wohl heut` der Nächste mein?
(1981)